Der Sabbat in der Geschichte

Was die Geschichte nicht vergessen hat

Sabbattheologie und Gottesbeziehung

I. Theologische Aussagen zum Sabbat anhand von Ex 31,13-17

Wenn wir uns jetzt ein wenig mit der Theologie des Sabbats beschäftigen wollen, dann gehen wir zunächst einmal von einem Textabschnitt im 2. Mosebuch aus. Nach der Untersuchung dieses Textabschnittes - es ist Ex 31,13-17 - wollen wir versuchen, uns einen kurzen Überblick über die Theologie des Sabbats zu verschaffen.

  1. Textabschnitt
    In Ex 31,13-17 lesen wir:

13"Sage den Israeliten: Haltet meinen Sabbat; denn er ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht, damit ihr erkennt, dass ich der Herrn bin, der euch heiligt. 14Darum haltet meinen Sabbat, denn er soll euch heilig sein. Wer ihn entheiligt, der soll des Todes sterben. Denn wer eine Arbeit am Sabbat tut, der soll ausgerottet werden aus seinem Volk. 15Sechs Tage soll man arbeiten, aber am siebenten Tag ist Sabbat,

völlige Ruhe, heilig dem Herrn. Wer eine Arbeit tut am Sabbattag, soll des Todes sterben. 16Darum sollen die Israeliten den Sabbat halten, dass sie ihn auch bei ihren Nachkommen halten als ewigen Bund. 17Er ist ein ewiges Zeichen zwischen mir und den Israeliten. Denn in sechs Tagen machte der Herr Himmel und Erde, aber am siebenten Tage ruhte er und erquickte sich."

  1. Bemerkungen zum Kontext

Der Sabbat wird mit Namen das erste Mal in Ex 16 erwähnt. Dort geht es um das Mannawunder. Nach der öffentlichen Verkündigung der Zehn Gebote durch Gott am Sinai (20) und der Bekanntgabe anderer Rechtsverordnungen für Israel durch Mose (21-24) - in beiden kommt der Sabbat vor (20,8-11; 23,12) - wurde Mose zu Gott auf den Berg gerufen. Dort wurden ihm Instruktionen für den Bau der Stiftshütte, den Priesterdienst und den Gottesdienst gegeben (25-31). Gott schloss sein Gespräch mit Mose ab, indem er noch einmal auf den Sabbat hinwies - das ist unser Textabschnitt (31,12-17) - und ihm die Zehn Gebote geschrieben auf Steintafeln übergab. Als Nächstes lesen wir den Bericht über das goldene Stierbild und die Folgen (32-34). Als Mose schließlich dem Volk Gottes Anweisungen bezüglich der Stiftshütte weitergeben konnte, hob er zuerst Gottes Gebot über den Sabbat hervor - Ex 35,2-3.

Der Sabbat kommt also an ganz entscheidenden Stellen im Exodus vor:

  1. Der Sabbat ist vor der Gesetzgebung am Sinai bekannt (Ex 16).

  2. In den Zehn Geboten findet sich der Sabbat genau in der Mitte, wenn man die Wörter zählt. Der Theologe Walter Kaiser Jr. teilt die Zehn Gebote nicht wie es herkömmlicherweise getan wird in vier und sechs Gebote ein, sondern meint, dass die ersten drei die Beziehung zwischen Gott und Mensch beschreiben, die letzten sechs die Beziehung zwischen Mensch und Mensch regeln, das vierte aber der Anbetung Gottes gewidmet ist. Es steht als Bindeglied zwischen denen, die die Beziehung zu Gott und denen, die die Beziehung zum Mitmenschen regeln (Ex 20; s. die mitmenschliche Komponente im Sabbatgebot).

  3. Moses Begegnung mit Gott auf dem Berg Sinai beginnt am siebten Tag, dem Sabbat, als Gottes Ruf an ihn erging und Mose mitten in die Wolke trat (Ex 24,15-18) und endet mit der Aufforderung, das Volk zum Sabbathalten aufzufordern (Ex 31). Der Sabbat umgibt den ganzen Bericht wie eine Klammer, die alles zusammenhält.

  4. Moses Rede zu dem Volk, nachdem die Episode mit dem goldenen Stierbild abgeschlossen ist, beginnt wieder mit dem Sabbat (Ex 35,2-3). Aber selbst davor, als Gott mit Mose persönlich redet, wird der Sabbat erneut erwähnt (Ex 34,21).

 

  1. Theologische Folgerungen

Beim Lesen unseres Textabschnittes kann man sich beklemmt fühlen. Zweimal wird eine Todesandrohung für den Fall der Missachtung des Sabbats ausgesprochen. Das ist ein düsteres Bild, aber doch nur die eine Seite der Münze. Auf alle Fälle kann man schlussfolgern, dass es Gott mit der Beachtung des Sabbats ernst ist. Der Textabschnitt ist ferner an das damalige Volk Israel als religiös-politische Größe und nicht direkt an die neutestamentliche Gemeinde gerichtet. Vieles ist allerdings anwendbar für uns heute, da der Sabbat als Ruhetag auch heute noch gilt und sich sein grundlegender Sinn nicht geändert hat. Ausrottung aus dem Volk steht heute allerdings nicht mehr zur Diskussion. Jedoch wird einmal über die Tieranbeter, die das Malzeichen annehmen, der Zorn Gottes ergehen (Offb 14). Der Abschnitt beginnt und endet mit dem Sabbat als Zeichen. Erst ist dabei von Heiligung (31,13-14b), dann von Schöpfung die Rede (31,16-17). Zwischen diesen beiden Versgruppen erscheint eine zweifache Todesandrohung, in deren Mitte die Sabbatruhe geboten wird.

A
Sabbat als Zeichen - Heiligung (13-14a)
B
Todesandrohung (14b)
C
Gebot der Sabbatruhe (15a)
B'
Todesandrohung (15b)
A'
Sabbat als Zeichen und Bund - Schöpfung (16-17)

In Chiasmen wie diesem sind Zentrum und äußere Glieder von besonderer Bedeutung. Ihnen wenden wir uns zu.

Theologische Folgerungen:

  1. Das Halten des Sabbats ist ein Gebot Gottes (V. 13+16).
    Obwohl das Halten des Sabbats Gottes Wille ist, wird doch in dieser Textstelle ebenso wie im Dekalog ein "Du sollst" vermieden. Kein Imperativ wird gebraucht. "Ihr werdet halten" kann man übersetzen. Obwohl Sabbatheiligung Gebot Gottes ist, darf der Sabbat doch gehalten werden wegen der Beziehung zu Gott und aus der Beziehung zu Gott heraus. Andererseits gilt: Missachtung des Sabbats ist Missachtung Jahwes und der Beziehung, die er mit seinem Volk wünscht.

  2. Die Ausrichtung des Sabbats ist theozentrisch (V. 13+15).
    Im Mittelpunkt des Sabbats steht nicht der Mensch, sondern Gott. Natürlich darf der Mensch, wie man so sagt, auf seine Kosten kommen. Aber der Sabbat ist in erster Linie nicht anthropozentrisch, sondern theozentrisch. Der Sabbat ist nicht des Menschen Sabbat, sondern Gottes Sabbat. In V. 13 lesen wir von "meinem (das ist Gottes) Sabbat." Nach V. 15 ist er heilig dem Herrn. Durch das AT hindurch zieht sich der Gedanke, dass der Sabbat der Sabbat des Herrn ist. Auch wenn Jesus im NT erklärt, der Sabbat sei um des Menschen willen gemacht, so ist er doch selbst der Herr über den Sabbat (Mk 2,27f). Wenn der Sabbat nicht auf Gott ausgerichtet begangen wird, ist er kein Ruhetag mehr, sondern ein bloßer Urlaubstag.

  1. Der Sabbat ist ein Zeichen der Beziehung zwischen Gott und Mensch (V. 13+17).
    Da der Sabbat "ein Zeichen zwischen mir und euch von Geschlecht zu Geschlecht" ist, geht es beim Halten des Sabbats nicht in erster Linie darum, ein Gebot Gottes zu erfüllen, sondern in die Gemeinschaft mit Gott einzutreten. Man kann sich derart auf den Tag und die Einzelheiten der Heiligung konzentrieren, dass man den Herrn des Sabbats aus den Augen verliert. Das wäre fatal und dem Sinn des Sabbats zuwider.

  2. Die Heiligkeit des Sabbats besteht in der heiligenden Gegenwart Gottes bei seinem Volk (V. 13-15).
    Der Sabbat ist - V. 14 - "heilig für euch", weil er - V. 15 - "dem Herrn heilig" ist. Die gleiche Wortwahl liegt vor. Der Sabbat ist, wie wir schon gesagt haben, theozentrisch. Gleichzeitig ist er aber auch auf den Menschen gerichtet. Beides gehört zusammen. Erneut wird die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk deutlich. Der Mensch heiligt den Sabbat, weil Gott den Sabbat heiligt.

    Aber die Heiligkeit des Sabbats bedeutet mehr: Der Sabbat als Zeichen zwischen Gott und Mensch weist auf die Gegenwart Gottes bei seinem Volk hin. Die Gegenwart Gottes im Sabbat besteht aber darin, dass Gott sein Volk heiligt. Der Sabbat gewinnt daher seine Heiligkeit durch die Gegenwart Gottes. Wer Sabbat hält, tritt in einen heiligen Bereich, nämlich in die Gegenwart Gottes ein, in der Gott aktiv ist und wirkt.

    Im Zusammenhang unseres Textabschnittes gesehen, folgt dem Heiligtum als Ort ein Heilgtum in der Zeit. Trotzdem kann man sich so sehr mit der Errichtung des Heiligtums und so sehr mit der Durchführung des Gottesdienstes beschäftigen, dass man die Beziehung zum Herrn darüber vernachlässigt. Deshalb muss den Instruktionen über das Heiligtum der Hinweis auf die Gegenwart Gottes im Sabbat folgen.

    Recht gesehen, geht jedoch das Heiligtum in der Zeit dem Heiligtum als Ort voraus und überlebt es auch. Ein heiliger Ort ist geographisch gebunden. Man muss sich aufmachen, um dahin zu gelangen. Eine heilige Zeit erreicht jeden Menschen und holt ihn ein.

  3. Gott ist es ernst mit dem Sabbathalten (V. 14+15).
    Er ist nicht indifferent, wenn es um den Sabbat geht. Man mag mit der Eisenbahn fahren oder ein anderes Transportmittel verwenden, man mag ein Musikinstrument spielen oder nur vor sich hinträllern, man mag gerne wandern oder lieber Tennis spielen. Gott hat sich in diesen Fällen nicht fest gelegt, und man kann nicht behaupten, die eine Alternative sei besser und Gott wohlgefälliger als die andere. Interessanterweise hat sich Gott aber mit dem Sabbat ernst genommen. Eine Alternative zur Sabbatheiligung besteht nicht.

  4. Das Halten des Sabbats hat sowohl mit dem Ruhen des Menschen als auch mit dem Ruhen Gottes zu tun (V. 15+17). 
    In V. 15 lesen wir von völliger Ruhe. Das hier verwendete Wort ist shabbaton und ist eine Ableitung von dem Verb shabat, ruhen, das in V. 17 erscheint, und eine Ableitung von dem Substantiv shabbat, das den Sabbat oder Ruhetag bezeichnet und erst ab Ex 16 als Eigenname erscheint. Wir hatten schon festgestellt, dass der Sabbat heilig für Israel und heilig dem Herrn ist. Das Gleiche gilt für die Ruhe. Gottes Volk ruht - V. 15. Gott ruht - V. 17. Weil Gott bei der Schöpfung ruhte, trägt der siebte Tag den Namen seines Urhebers und dessen Tätigkeit, Sabbat des Herrn. Die Ruhe Gottes ist dem Menschen zugewandt. Indem Gott von seinen Werken ruht, ist er frei für den Menschen. Gott hat Zeit für den Menschen. Indem der Mensch ruht von seinen Werken, ist er frei für Gott. Der Mensch hat Zeit für Gott. Er ist nicht mehr Gefangener der Sechs-Tage-Woche.

    Ruhe meint deshalb nicht in erster Linie Erholung für die auf uns erneut zukommende Arbeit. Der Mensch ist kein Tier, und der Sabbat soll nicht einfach unsere Arbeit in den sechs Tagen effizienter machen. Der Sabbat ist nicht da um der Werktage willen, sondern die Werktage sind da um des Sabbats willen. Der Sabbat ist nicht ein Zwischenspiel, sondern der Höhepunkt des Lebens. An ihm begegne ich meinem Schöpfer und Erlöser, den ich als meinen Herrn anerkenne.

    Schon in Dt 5,12-15 wird Ruhe nicht nur mit der Schöpfung in Verbindung gebracht, sondern auch mit der Erlösung. Ganz deutlich findet dieser Gedanke im NT. Nach Hbr 4 gehört zur Sabbatruhe die in Jesus Christus schon erfahrene Errettung (geistliche Ruhe) und die Erwartung endgültiger Errettung bei Jesu Wiederkunft (eschatologische Ruhe). Das Konzept der Sabbatruhe reicht deshalb von der Schöpfung über die Erlösung hin zur Neuschöpfung. Deshalb ist der Tag der Ruhe gleichzeitig Tag der Freude und Tag der Hoffnung.

  1. Der Sabbat ist ein Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und seinem Volk (V. 16).
    Nachdem Gott Israel aus Ägypten befreit hatte, bot er dem Volk am Sinai einen Bund an. Ein Bund drückt eine rechtliche Beziehung zwischen zwei Parteien aus. Die Parteien müssen aber nicht auf gleicher Ebene stehen. Ein Bund bringt Vorrechte und Verpflichtungen mit sich. Verpflichtung für Israel - Ex 19,5: Gott gehorchen. Vorrechte - Ex 19,5f: Israel als Eigentum Gottes, als Königreich von Priestern, als heiliges Volk. Wieder wird die enge Beziehung zwischen Gott und seinem Volk deutlich. Gott hat sein Volk erlöst. Er sorgt für es, bewahrt es, leitet es. Es ist sein Eigentum, auf das er eifersüchtig acht gibt. Es ist ein Musterbeispiel für andere, gewissermaßen ein Schauspiel, dafür, was Gottes Liebe aus diesen Menschen macht. Der Sabbat weist darauf hin, dass solch ein enge Beziehung zwischen Gott und den Seinen besteht. Die Gegenwart Gottes will sein Volk lebenslang begleiten. Dreimal kommt in unserem Abschnitt der Gottesname Jahwe vor. Jahwe ist der Gott Israels, der Bundesgott. Elohim ist der souveräne Herr über das Universum.

    Der sinaitische Bund wurde ersetzt durch den neuen Bund (Hbr 8,8ff., 10,16f.). Die Vorrechte Israels sind übertragen auf Gottes neues Volk (1 Pt 2,9). Das Gesetz ist in ihr Herz geschrieben. Das neue Bundesvolk freut sich seiner Erlösung. Es erwartet die sichtbare Gegenwart seines Herrn. Es hält den Sabbat als Tag der Gemeinschaft mit seinem Herrn. Es lebt in einer Art Partnerschaft mit seinem Gott.

  2. Der Sabbat weist zurück auf die Schöpfung und den Schöpfer (V. 17).
    Die Schöpfung wurde durch Gott ins Leben gerufen. Aber sie war nicht vollendet mit den sechs Schöpfungstagen. Erst der Sabbat brachte die Vollendung. So mündete das Schöpfungshandeln Gottes in den Sabbat ein. Gleichzeitig war der Sabbat der Ausgangspunkt der menschlichen Geschichte. Er begrenzte die Zeit und war mit Werten gefüllt, die nicht in Raum und Materie zu finden sind. Gott setzte sich selbst in Beziehung zu seiner Schöpfung. Er ruhte, segnete und heiligte den Sabbat. Als Geschenk aus dem Paradies ist der Sabbat zu uns gekommen.

    Dabei hat Gott durch sein Wort nicht nur den Sabbat abgesetzt von den anderen Tagen und ihm eine andere Qualität gegeben, der Herr selbst präsentiert sich uns als Vorbild der Sabbatheiligung. Wir als Imago Dei schreiten deshalb zur Imitatio Dei.
    Indem der Sabbat uns an die Schöpfung erinnert, weist er auch auf den Ursprung des Menschen hin. Der Mensch kommt aus der Hand Gottes und nicht aus einem Evolutionsprozess. Der Mensch ist kein Zufallsprodukt, sondern ein einmaliger Gedanke Gottes. Der säkulare Mensch ist heimatlos, einsam und ziellos. Das Kind Gottes dagegen hat die Frage nach seinem Woher geklärt bekommen und kann deshalb auch die Frage nach dem Wozu, also die Sinnfrage, und die Frage nach dem Wohin beantworten. Wenn der Mensch seinen Ursprung verliert, geht auch seine Identität verloren. Auf der Suche nach einem neuen Sinn des Lebens werden neue Sinninhalte angenommen, die aber doch nur innerhalb der geschaffenen Welt liegen und damit das Problem nur verschieben. Im Halten des Sabbats denken wir zurück an unseren Ursprung. Wir treten in eine Beziehung zu unserem Schöpfer und nehmen dankbar das Geschenk des Lebenssinnes, nämlich Kind Gottes zu sein, an. Zur Schöpfung gehört allerdings mehr als nur der Mensch. Wer den Sabbat begeht, sagt ja zu Gottes gesamter Schöpfung und anerkennt die Aufgabe, die auch ihm zum Erhalten und Bewahren derselben anvertraut ist. Das heißt: zur Sabbattheologie gehört auch eine ökologische Komponente.

  3. Der Sabbat hat eine futurische Komponente (V. 16-17).
    Er orientiert sich nicht nur an der Vergangenheit. Er ist zukunftsgerichtet. Zweimal wird das Wort “ewig” gebraucht. Der Sabbat soll in allen Generationenen gehalten werden, auch in den zukünftigen. Er hängt mit dem ewigen Bund zusammen und ist ein ewiges Zeichen. So schlägt der Sabbat eine Brücke von der Schöpfung in die Zukunft.

 

Wir fassen zusammen: Unser Textabschnitt hat uns neun wichtige theologische Erkenntnisse über den Sabbat vermittelt, die auch an anderen Stellen der Heiligen Schrift vorhanden, manchmal auch noch weiter herausgebildet sind. Natürlich ist das kein Gesamtbild. Trotzdem sind wesentliche Aspekte deutlich geworden. Interessanterweise zieht sich ein roter Faden durch alle Punkte, nämlich: Der Sabbat ist der Tag, an dem wir in besonderer Weise Gott begegnen und seine Gegenwart erleben. Der Sabbat ist nicht um seiner selbst willen zu beachten. Es geht an ihm vielmehr um eine intensive Gemeinschaft und Beziehung zu unserem Herrn, die dann die ganze Arbeitswoche durchdringen und prägen kann. Der Sabbat ist der Tag der Gegenwart Jahwes, der allerdings an die Vergangenheit erinnert und in die Zukunft vorausschaut.

 

 

II. Die Theologie des Sabbats im Exodus

Nachdem wir einen wichtigen Textabschnitt, aus dem Buch Exodus unter die Lupe genommen haben, halten wir kurz fest, was in den anderen Exodustexten über den Sabbat ausgedrückt wird:
  1. Ex 16,22-23
    Der Sabbat ist auf Gott ausgerichtet. Deshalb wird Alltägliches ausgeklammert. Gott aber versorgt sein Volk mit allem Notwendigen, gerade am Sabbat. Er begleitet die Seinen.

  2. Ex 20,8-11
    Der aus der Sklaverei Erlöste hält den Sabbat als Gedenken an die Schöpfung und den Schöpfer. Arbeit und Ruhe kommen in die richtige Balance. Der Mensch wird befreit von der Bedrohung der modernen Arbeits- aber auch Freizeitwelt. Er wird befreit von der Tyrannei des Materialismus. Die ganze Woche hindurch geht es um Dinge, als ob das Leben aus dem Herstellen, Kauf und Verkaufen von Dingen bestünde. Am Sabbat darf der Mensch zu Gott und sich selbst finden. Der Sabbat relativiert des Menschen Arbeit, lässt ihn seine Abhängigkeit von Gott erkennen und ermöglicht es ihm, seine Arbeit wieder mit Freude anzupacken. Der Sabbat hat auch eine soziale Komponente. Der Mitmensch unabhängig von seinem Stand und sogar die Tierwelt sind in die Sabbatheiligung hineingenommen. Die prinzipielle Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen wird am Sabbat verwirklicht, indem alle Klassen- und Rassenschranken und alle anderen Barrieren zwischen Menschen niedergebrochen sind. Das darf sich dann auswirken in den Alltag hinein.

  3. Ex 23,12
    Der Sabbat richtet sich sowohl gegen die Ausbeutung der Tierwelt und damit sicherlich der Natur schlechthin, als auch gegen die Ausbeutung der von uns abhängigen Mitmenschen und der sozial Schwächeren. Am Sabbat begegnet uns nicht nur die Menschenfreundlichkeit Gottes (Mk 2,27f), sondern wir dürfen diese Freundlichkeit an den Mitmenschen weiterreichen.

  4. Ex 34,21
    Auch in der Zeit des Pflügens und Erntens, wenn alles drunter und drüber geht, darf man sich zurücknehmen und den Sabbat genießen. Der Mensch ist kein Sklave der Arbeit mehr. Neben der Besinnung auf Gott und auf sich selbst, hat der Sabbat indirekt auch eine gesundheitliche Komponente. Mit dem Sabbat wird der Workoholismus bekämpft. Er ist Gottes Antistressprogramm.

  5. Ex 35,2-3
    Damit der Sabbat ein heiliger Tag ist, bedarf er einer Abgrenzung. Wenn am Sabbat alles geht, was die Woche über möglich ist, verliert er seine Bedeutung als besonderer Tag. Damit würden wir uns selbst eines großartigen Geschenkes berauben und die Gegenwart des Herrn aus den Augen verlieren. 

 

III. Schlussfolgerungen aus der Sabbattheologie

Der Sabbat ist engsten verbunden mit der Schöpfung, mit der Erlösung und mit der

Neuschöpfung. Er ist Zeichen des Bundes und der Erwählung. Seine Heiligung ist Ausdruck wahrer Anbetung (Offb 14). Im Sabbat begegnet uns der Herr, der uns heiligt.

Vier Aspekte wollen wir festhalten:

  1. Weil er an den Usprung der Welt und der Menschen erinnert und die Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn ermöglicht, deshalb ist der Sabbat ein Fest der Freude.

  2. Weil er uns die ständige Gegenwart und Nähe Gottes bewusst macht, deshalb ist der Sabbat ein Fest der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinde. Praktisch heißt Gemeinschaft: Wir begegnen Gott, seinem Wort, seinen Kindern. Wir erleben Austausch, gewinnen neue Einsichten und erhalten Antworten auf Lebensfragen. Wir haben Zeit für Familie, Partner und Mitmensch. Beziehungen werden vertieft. Echte Kommunikation findet statt. Gleichheit und Geschwisterlichkeit aller wird erlebt. Menschen werden nicht mehr ausgebeutet, sondern gefördert.

  3. Weil er von der Befreiung des Menschen zeugt - man denke dabei nicht nur an die Befreiung Israels aus Ägypten und an die Erlösung, sondern auch an die Sabbatwunder Jesu, die den ganzen Menschen gesund gemacht haben, und an die Möglichkeit uns heute von allen möglichen Bindungen und von Sachzwängen frei zu machen -, deshalb ist der Sabbat ein Fest der Freiheit. Praktisch heißt das auch: Wir werden befreit zu Ruhe und Erholung, zu physischer und psychischer Erholung. Der gesundheitliche Aspekt des Sabbats kommt zum Tragen. Wir erleben Befreiung von der Sklaverei der Arbeit, Befreiung auch von der Selbstzentriertheit. Wir lernen, die Sorgen des Alltags loszulassen.

  4. Weil er auf die Vollendung des Menschen und der Welt hinweist, deshalb ist der Sabbat ein Fest der Adventhoffnung. Jeder Sabbat ist zwar ein Stück aus dem verlorenen Paradies, aber gleichzeitig auch ein Vorgeschmack auf das künftige Paradies. Wie die Arbeitswoche ihr Ziel im Sabbat findet, so findet der Sabbat seine Vollendung in der zukünftigen Sabbatruhe. Obwohl im Sabbat die Zukunft schon ansatzweise begonnen hat, leben wir doch noch in der Spannung zwischen dem Jetzt-Schon und dem Noch-Nicht und sehnen uns nach endgültiger Ruhe in direkter Gemeinschaft mit Gott. Praktisch gehört zum Prinzip der Hoffnung: Wir haben die Möglichkeit, uns auf die wirklichen Lebensziele zu besinnen und unsere Prioritäten zu ordnen. Hoffnung verneint Verzweiflung und Nihilismus. Eine Neuorientierung findet statt. Neue Perspektiven werden gewonnen. 

Der Sabbat will neu entdeckt werden. Man mag sich an ihn gewöhnt haben. Manches mag Routine geworden sein. Man mag in der Gesetzlichkeit gefangen sein. Als moderner autonomer Mensch mag man auch den Sabbat zu einem Tag eigenen Vergnügens umfunktioniert haben. Der Sabbat ist aber theozentrisch ausgerichtet. Er ist ein Fest - ein Fest der Freude, der Freiheit und der Hoffnung, vor allem aber ein Fest der Gemeinschaft, der Gemeinschaft aber in erster Linie mit dem Herrn des Sabbats.

 

Autor: Ekkehardt Müller, Th.D., D.Min
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Literatur

Aller Diener, Stoffsammlungen und Mitteilungen der EUD-Predigtamtsabteilung, II/94. Bacchiochi, Samuele. Divine Rest for Human Restlessness. Berrien Springs, MI: Book distributed by author, 1980.

Durham, John I. Exodus, Word Biblical Commentary, 3. Waco, TX: Word Books, 1987.

Heschel, Abraham Joshua. The Sabbath: Its Meaning for Modern Man. New York: The Noonday Press, Farrar, Straus and Giroux, 1989.

Strand, K. A. The Sabbath in Scripture and History. Washington, D.C.: Review and Herald Publishing Association, 1982.